NACHTZUG – SPUREN DER RAUMZEIT
“Die Ausstellung überzeugt durch so Noch-Nicht-Gesehenes, was allein schon ein Kunststück in der Kunst ist. Dass das Neue auch noch schön ist – ohne bieder zu sein – abstrakt mit einem Kitzel des Konkreten, schafft eine wunderbare, spannende Atmosphäre der Bilder.”
Adrian Prechtel, Abendzeitung München
NACHTZUG – SPUREN DER RAUMZEIT
Seit der Erfindung der Photographie ist eines ihrer zentralen Ziele, die Dimension der Zeit, d.h. die Belichtungsdauer auf ein Minimum zu reduzieren. Waren bei den ersten Pionieren des neuen Mediums Anfang des 19. Jahrhunderts noch Belichtungszeiten von Stunden oder Minuten erforderlich, erlaubten schon wenige Jahrzehnte später die neueren Emulsionen und Kameras im Bruchteil einer Sekunde einen Augenblick aufs Bild zu bannen. Heute können selbst Kameramodelle der gehobenen Amateurklasse die Zeit mit einer viertausendstel Sekunde oder kürzer einfrieren.
Seit vielen Jahren arbeite ich auf unterschiedliche Weise daran, der vierten Dimension in der Photographie wieder mehr Raum zu geben, also Zeit in einzelnen Bildern sichtbar werden zu lassen.
Im Rahmen des Projekts NACHTZUG geschieht dies durch Langzeitbelichtungen aus fahrenden Zügen, Straßenbahnen, Schiffen oder auch ganz ungewöhnlichen „öffentlichen Verkehrsmitteln“, die während der Nacht durch Landschaften und Städte fahren. Die vorüberziehenden Lichter hinterlassen auf dem Film scheinbar abstrakte Spuren in den verschiedensten Formen, Farben und Strukturen.
Verschiedene Aufnahmetechniken lassen dabei Bilder entstehen, die so für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar sind. Meistens kommt eine eigens für dieses Projekt entwickelte elektronisch gesteuerte Spezialkamera zum Einsatz, die den präzisen Transport des Films während der Langzeitbelichtungen ermöglicht.
Die so erzeugten LichtBilder sind extrem querformatige Großdias im Format eines kompletten Films. Die Belichtungsdauer variiert zwischen wenigen Minuten und zwei bis drei Stunden.
Die Aufnahmen des Projekts NACHTZUG sind also keine computergenerierten Kompositionen, sondern klassische Photographien mit Kamera und Film. Sie beschreiben nächtliche Fahrten mit Zügen durch ganz Europa, mit Straßenbahnen und Bussen, einem Vaporetto auf dem Canal Grande in Venedig oder andere überraschende Fahrten. An Bahnhöfen, Haltestellen oder Ampeln zeichnen sich im Geflecht der Lichtspuren schemenhafte Abbildungen von Gebäuden, Leuchtreklamen oder Schaufenstern ab. Diese erlauben bei genauem Betrachten eine konkrete Zuordnung dieser Bildabschnitte zu bestimmten Orten entlang der Strecke.
Die Bildunterschriften, die präzise das Verkehrsmittel, den Streckenverlauf und die Aufnahmezeit benennen, verstehen sich als Bestandteil der Bilder und verstärken so die Spannung zwischen den scheinbar abstrakten Lichtspuren und der konkreten räumlichen und zeitlichen Beschreibung ihres Entstehens. Als Diasec® oder in Leuchtkästen von drei oder vier Metern Länge entfalten diese Bilder eine besondere Faszination.
Konzeption und Realisation: Lothar Schiffler
Technische Assistenz: Nikolai Klassen
Redaktion: Marion Engels